Erklärung des SprecherInnenkreises der BAG FIP zum Wahlprogrammentwurf der Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger
Die scheidenden Parteivorsitzenden haben in der vergangenen Woche einen Entwurf für das Wahlprogramm vorgelegt, der weder mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden und Internationales, noch mit Cuba Si noch mit einer der vielen anderen Bundesarbeitsgemeinschaften oder anderen Vertretern der Parteibasis beraten wurde. So wurde zu zweit ein 137seitiger Text ausgearbeitet, der eine friedenspolitische Schräglage hat und auffällig viele Fehlstellen im Vergleich zum Wahlprogramm 2017 besitzt. Der Entwurf von Kipping und Riexinger muss aus vielen Gründen kritisch gesehen und dringend verändert werden. Daran ändert auch die Verteidigung des Entwurfs am 15.2. in der Jungen Welt nichts, in der – nach langer Abwesenheit – jetzt der (Anti-) Imperialismus wiederentdeckt wird. Der SprecherInnenrat der BAG FIP begrüßt die Wieder-Hinwendung zum Instrumentarium der Imperialismustheorie durch die Bundesspitze. Zu einzelnen Defiziten des Entwurfs:
- Im Entwurf wurde eine andere Formulierung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr gewählt, als noch 2017. Dies lässt Interpretationsspielraum, ob auch die Neuentsendung in Auslandseinsätze der Bundeswehr, die unter UN- und EU-Mandat legitimiert werden, ausgeschlossen ist. Die Ablehnung sämtlicher Auslandseinsätze der Bundeswehr ist eindeutig und unmissverständlich im Wahlprogramm zu formulieren. Hier muss doch endlich zur Kenntnis genommen werden: Die Zunahme militärischer Auseinandersetzungen in der Welt sind v.a. Ausdruck und Ergebnis neoliberaler ökonomischer Herrschaftsstrukturen, die strukturelle Ungleichheit stetig weiter vertiefen, weil sie Ausbeutungs- und Verarmungsprozesse zwischen Norden und Süden immer weiter vertiefen. Auf diese Entwicklungen mit militärischen Interventionen reagieren zu wollen ist nicht nur hier und da, sondern prinzipiell der falsche Ansatz, wie auch die Realität der Einsätze zeigt: In keinem Fall haben militärische Interventionen – stets unter dem Vorwand von Menschenrechtsschutz – die Situation für die Menschen in den betreffenden Ländern verbessert. Die bisherigen Einsätze der Bundeswehr müssen daher dringend im Bundestag so evaluiert werden wie es für jedes Entwicklungshilfe-Projekte Pflicht ist, damit deren Kontraproduktivität öffentlich deutlich wird. Krieg ist der Zustand, in dem Menschenrechte, nämlich zuallererst das Recht auf körperliche Unversehrtheit, und das Recht an sich am ehesten auf dem Spiel stehen. Krieg führen um Krieg zu beenden – das war, ist und bleibt eine Lebenslüge der Herrschenden des globalen neoliberalen Wirtschaftssystems.
- Im Bezug auf die Erhaltung des Friedens in Europa fehlt eine historische Ebene: die gesamte geschichtliche Verantwortung, insbesonders im Deutsch-Russisches-Verhältnis ist nicht reflektiert – im Jahr des 80. Jahrestags des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion sollte es in unserem Wahlprogramm ein klares Bekenntnis zur deutschen Verantwortung zur Bewahrung des Friedens in Europa im Angesicht der Millionen Toten des 2. WK geben. Daraus muss hergeleitet werden, dass gutnachbarliche und gedeihliche Beziehungen zu Russland, dem wichtigsten Nachbarn der EU und Teil Europas, für die friedliche Gestaltung der Beziehungen in Europa von herausragendem Stellenwert sind.
- Es wird nicht deutlich herausgearbeitet, dass die wirtschaftliche Kriegführung mittels Sanktionen in dieser neoliberalen Herrschaftslogik liegt. Anti-russische Nützlichkeits-erwägungen anzustellen z.B., wie ob Sanktionen eine ‚Bevölkerung in die Arme Russlands treiben‘ könnten oder nicht (K. Kipping zur Krise in Belarus, 15.8.2020) dürfen nicht Bestandteil linker Politik sein. Die LINKE muss sich – prinzipiell – weiter gegen die Verhängung von Wirtschaftssanktionen als Mittel der Politik positionieren. Gerade weil es uns um das Wohl der Menschen geht, setzten wir uns für die Aufhebung von Wirtschafts-sanktionen ein, denn sie führen zu Hunger und medizinischer Unterversorgung der Bevölkerung. Die einseitigen sog. Strafmaßnahmen der USA und EU gegen Iran, Syrien, Nordkorea, Venezuela, Nicaragua, Kuba und Russland sind völkerrechtswidrig und müssen sofort gestoppt werden. – Wir lehnen Feindbilder grundsätzlich ab und beharren stattdessen auf partnerschaftlichen außenpolitischen Beziehungen auf der Basis von gleichberechtigter Kooperation und Interessensausgleich mit allen Ländern. Gerade da, wo es Spannungen oder Meinungs-verschiedenheiten gibt, ist ausgleichender Dialog am wichtigsten, und zwar auf Augenhöhe, ohne vorhergehende Vorwürfe, Drohungen oder Wirtschaftskriegsführung.
- Ebenso wollen wir Austausch und Dialog mit den Zivilgesellschaften und Völkerfreundschaften fördern, denn Partner für uns sind auch die gesamte Bevölkerung und nicht nur die (wechselnden) Regierungen. Dies muss aber klar unterschieden werden von der Förderung völkerrechtswidriger Regime Change-Bemühungen. Der geforderte „Fonds zur Förderung von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich weltweit für Demokratie, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit einzusetzen“, der ‚mit substantiellen finanziellen Mitteln‘ ausgestattet werden soll, ist so unspezifisch beschrieben, dass die Unterstützung einer Organisation mit Regime Change-Agenda durchaus darunterfallen kann – dies würde alle Grundsätze linker Außenpolitik konterkarieren. Stattdessen wollen wir die zivile Kooperation auf gesellschaftlicher sowie staatlicher Ebene, u.a. auch mit Austauschprogrammen, fördern. Dass an dieser Stelle das Bekenntnis der LINKEN zur Solidarität mit der kubanischen Revolution fehlt, das in unserem Wahlprogramm 2017 noch bekräftigt wurde, ist nicht zu erklären. Darüber hinaus müssen auch die missverständlichen Formulierungen im Entwurf, die die Forderung der LINKEN nach sofortigem Rüstungsexportstopp beschreiben sollen, dringend konkretisiert werden.
- Die Ziele der Vereinten Nationen zu fördern bedeutet die friedliche Schlichtung aller Streitigkeiten und Verzicht auf Gewaltanwendung zu gewährleisten, die Gleichheit und Souveränität aller Staaten zu achten, und an der Beseitigung der ökonomischen Ursachen für ungleiche und Unterentwicklung zu arbeiten. Fortschrittliche UN-Mandate benötigen daher nicht den Einsatz von Militär, sondern zivile Friedensfachkräfte, Ärzte und Techniker. Für uns bleibt die Forderung: Frieden schaffen ohne Waffen! Die UN als die Institution, die mit ihrer Charta für das Völkerrecht steht zu stärken ist nur möglich, wenn sich die NATO, die sich nach dem „Recht des Stärkeren“ als gefährlicher internationaler Kriegs- und Interventions-akteur gebärdet und das Völkerrecht immer weiter aushöhlt, auflöst. Dies heißt natürlich auch, dass eine Perspektive auf konventionelle Abrüstung in Europa, und darüber hinaus auch eine Perspektive zum Verlassen der militärischen Strukturen der NATO plastisch wird. An deren Anfang muss der umgehende Abzug der US-Truppen von deutschem Boden stehen – eine Forderung, die sich ebenfalls im Programm bisher nicht findet.
- Perspektivisch muss auch innerhalb der UN die Tür zum permanenten Missbrauch von Mandaten geschlossen werden: Der UN-Sicherheitsrat muss zugunsten der General-versammlung in seiner Macht beschränkt werden. Verantwortung übernehmen muss Deutschland, indem es sich für die Beseitigung von Armut, den Schutz der Natur, soziale Gerechtigkeit, demokratische Teilhabe und Frieden einsetzt – all dies wurde von allen Staaten in der UN-Agenda 2030 festgeschrieben, die auf globale Partnerschaft statt nationaler Abschottung oder wirtschaftliche oder militärische Auseinandersetzungen setzt. Wir brauchen die radikale Senkung der globalen Militärausgaben für die Ursachen-bekämpfung von Krisen und Konflikten durch Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung.
- Eine EU, umgestaltet in eine demokratische Friedens- und Sozialunion, festgelegt auf einen zivilen Charakter, muss sich für eine kooperative und solidarische Außen- und Entwicklungs-politik einsetzen sowie für die Ächtung des Krieges als Mittel der Politik. Formulierungen im Entwurf, die Linke würde sich für „weniger“ Aufrüstung beim EU-Haushalt einsetzen, sind extrem missverständlich und müssen durch ein Bekenntnis zu einem demilitarisierten Europa ersetzt werden.