Erklärung aus dem Gesprächskreis Frieden und Sicherheitspolitik der Rosa
Luxemburg Stiftung
Wir, die Unterzeichnenden, fordern mit Nachdruck: Schluss mit dem Blutvergießen. Der Krieg ist keine Lösung; er legt nur die Saat für weiteren Hass und fortwährende Gewalt.
Vereinte Anstrengungen für die Suche nach einem fairen Interessenausgleich zwischen Israelis und Palästinensern sind das Gebot der Stunde. Damit der gesamten Region eine dauerhaft stabile, friedliche Entwicklung eröffnet und der verhängnisvolle Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt endlich durchbrochen wird. Einseitige Interessendurchsetzung führt nachweislich ins Verderben und birgt die Gefahr der Ausweitung dieses Krieges zu einem regionalen Flächenbrand.
Der von Israel in Wahrnehmung seines Selbstverteidigungsrechtes gegen die Hamas erklärte Krieg als Antwort auf deren zu verantwortendes Massaker vom 7. Oktober, verstößt gleichfalls längst schon gegen das humanitäre Völkerrecht. Er stellt sich als ein Krieg gegen die gazaische Bevölkerung mit ständig steigenden Opferzahlen dar, zu denen überdies auch UN-Beschäftigte gehören. Die fortgesetzten großflächigen Bombardements von Wohngebäuden, anderen zivilen Objekten, darunter Hospitäler, Flüchtlingslager, Moscheen, Kirchen, UN-Einrichtungen, sowie von Infrastruktur ist gemäß den Festlegungen im humanitären Völkerrecht sowie der Menschenrechtskonvention strikt untersagt. Keine Partei im Krieg hat das Recht, sich darüber zu erheben. Der UN-Generalsekretär, Antonio Guterres bezeichnet diesen Alptraum für die Bewohner des Gaza-Streifens nicht mehr nur als humanitäre Krise, sondern „als Krise der Menschlichkeit“. Verschiedene Völkerrechtlicher und Politiker von Ländern des globalen Südens sprechen bereits von Völkermord. Mit der Bodenoffensive der israelischen Armee (IDF) verschärft sich diese Situation täglich weiter.
Bereits ein Drittel aller Wohngebäude im nördlichen Teil dieses ohnehin nur 365 km² umfassenden Gaza-Streifens, der 2.3 Millionen Einwohnern Heimat ist, wurde bereits zerstört. Dessen Bewohner werden nun noch in den bereits dicht gedrängten Süden beordert. Was auch verstanden werden kann als Vorbereitung zu einer neuen Vertreibung, einer Nakba 2.0. Es mangelt an allem – an Nahrung, an sauberem Trinkwasser, an medizinischer Versorgung und an Energie. Der von Israel verfügte Stopp von Treibstofflieferungen wirkt sich um so gravierender aus, als diese unerlässlich sind, um die wenigstens nicht zerstörten medizinischen Einrichtungen funktionsfähig zu halten; aber auch, damit Einrichtungen, wie Wasserentsalzungsanlagen und Bäckereien in Betrieb bleiben können.
Bei allem Entsetzen über das von Hamas-Kämpfern an Frauen, Kindern, Älteren und jugendlichen Musikfestivalteilnehmern veranstaltete Massaker und die zahlreichen Geiselnahmen, kann doch diese Unverhältnismäßigkeit des Einsatzes einer höchst gerüsteten Armee nicht noch länger hingenommen werden. Wer sich angesichts dieses fürchterlichen Elends für die Menschen im Gaza-Streifen nach wie vor der Forderung nach einem Waffenstillstand widersetzt, stellt klar, dass Macht- und sonstige
Vorherrschaftsinteressen Priorität gegenüber der Humanität und einer klaren Bestimmung des Völkerrechts und des Kriegsvölkerrechts haben. Alles Gerede von werte- und regelbasierter Politik wird damit zu Schall und Rauch. Niemand sollte sich dem Appell des UN-Generalsekretärs verschließen, wonach sich die Konfliktparteien – und natürlich die internationale Gemeinschaft – einer direkten und fundamentalen Verantwortung gegenübersehen: „dieses inhumane kollektive Leiden zu stoppen und die humanitäre Hilfe für Gaza dramatisch zu erhöhen“.
Es ist nicht nur ein Armutszeugnis, dass sich die G7 Außenminister auf ihrem Treffen in Japan nicht auf die Forderung nach einem Waffenstillstand einigen konnten. Um nicht in Konfrontation zur israelischen Regierung zu geraten, die sich gerade einmal zu „taktischen Pausen“ bereit erklärt und gleichzeitig von der Notwendigkeit eines längerfristigen Einsatzes ihrer Truppen spricht. Es ist geradezu eine Perversion der Politik, kurze Kampfpausen zu gewähren, damit sich die Bevölkerung „erholt“, um sie danach mit unverminderter Gewalt wieder anzugreifen, jetzt auch im Süden des Gazastreifens, in den sie sich nach Aufforderung der israelischen Armee geflüchtet hat.
Eine Zwei-Staaten-Lösung nur zu postulieren, ohne jegliche kritische Reflexion der eigenen Politik, wird wenig bewirken. Außer einem Weiter so! Gerade die in Japan versammelten Staaten müssten sich zuallererst fragen, inwieweit sie selbst Mitverantwortung daran tragen, dass in den zurückliegenden Jahren keine erfolgreichen Schritte unternommen worden sind, um dieses Ziel zu erreichen. Vielmehr wurde stillschweigend hingenommen, dass Israel mit seinem völkerrechtswidrigen Okkupationsregime seine Siedlungspolitik auch unter flagranter
Verletzung von Regelungen des Kriegsvölkerrechts sowie in Aushöhlung der Osloer Vereinbarungen von 1993, die eigentlich zum Friedensschluss und der Proklamation eines Palästina-Staates an der Seite Israels hätten führen sollen, beständig weiter forciert hat. In deren Folge nicht nur weiteres palästinensisches Land in Besitz genommen und deren ansässige Bewohner vertrieben wurden. Auch die Gewalt seitens der Siedler gegenüber den palästinensischen Bewohnern ist im Zuge dessen beständig weiter eskaliert, da deren Vertreter in der Regierung sind. Zwar wird diese Gewalt durch die G7-Staaten verurteilt, aber eine Verurteilung des völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus findet sich dennoch nicht.
Während im Falle der Ukraine solche universellen Grundsätze, wie das Recht auf Selbstbestimmung, die Einhaltung der Normen des Völkerrechts oder Rechts des Kampfes gegen Okkupanten, zurecht bemüht werden, finden sie vergleichsweise im Falle der Palästinafrage keine Anwendung. Auch dem palästinensischen Volk steht doch das Recht auf Selbstbestimmung, auf Würde und Gerechtigkeit zu. Ohne eine tragfähige Lösung der Palästinafrage wird der todbringende Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt, der das israelisch-palästinensische Verhältnis bislang geprägt hat und der zum Schaden aller gereicht, nicht zu durchbrechen sein.
Weder ist die Sicherheit Israels auf Dauer durch eine militärische Übermachtstellung zu gewährleisten noch wird dies aus israelischer Sicht durch die Missachtung der legitimen nationalen palästinensischen Rechte letztlich gelingen können. Für eine Zwei-Staaten-Lösung unerlässlich wird eine internationale Vermittlung sein, um zu einer fairen, die Interessen aller beteiligten Seiten berücksichtigenden Lösung gelangen zu können. Notwendig wird vor allem die Aufgabe der Besatzung und der Rückzug des Militärs aus den besetzten Gebieten sein.
Die Zeit ist reif für Kooperation und die gemeinsame Suche nach einer tragfähigen Lösung der Palästinafrage. Die BRICS-Staaten, zu denen ab 2024 aus der Region noch Ägypten, Iran, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate zählen werden, bieten sich gemäß den 2 Beschlüssen XV. Gipfels in Johannesburg/Südafrika sowie ihres außerordentlichen Videogipfels zu Israel-Palästina-Konflikt vom 21. November als Partner dabei an. Sie widerspiegeln den Willen der Mehrheit des globalen Südens, der sich auch in der weltweiten Solidaritätsbewegung für das palästinensische Volk artikuliert und der die Rückkehr zu Geist und Buchstaben der UN-Charta fordert.
Uns geht es um die Schaffung eines dauerhaften und gerechten Friedens für Israelis wie für das palästinensische Volk. Wir sehen uns an der Seite derjenigen, die ihre Stimme für die sofortige Beendigung des Krieges erheben, die Gerechtigkeit einfordern und Doppelmoral verurteilen. Jede Form von Unterdrückung, von Antisemitismus und Islamophobie als Ausdruck von Rassismus werden von uns strikt abgelehnt. Um zu einem stabilen Frieden in der Region zu gelangen, sind Vernunft und Realismus sowie die Beachtung der Grundsätze der Humanität gefragt. Der dafür notwendige faire Kompromiss auf der Basis der friedlichen Koexistenz setzt bei allen beteiligten Seiten die Einsicht voraus, wonach eine sichere Zukunft nicht gegeneinander, sondern nur miteinander zu gestalten sein wird. Sowie die ehrliche Bereitschaft auswärtiger Mächte, die Region nicht weiterhin als einen Austragungsort globaler Auseinandersetzungen zum Zwecke eigener Dominanzansprüche zu nutzen zu suchen.